Häuser kann man bauen. Nachbarschaften nicht.
Was das Engagement von Investor:innen anregt, ist in der Regel nicht das Ensemble aus bestehenden Häusern und ihren Bewohner:innen. Es sind die Möglichkeiten, die Dimensionen eines Grundstücks profitabler auszugestalten. Durch andere – in der Regel dichtere Bebauung – oder eine neue Nutzung. Mit jedem weiteren uniformen Standardbau verliert das Stadtbild ein Stück seiner Liebenswürdigkeit.
Der in diesem Zusammenhang oft benutzte Begriff „Gentrifizierung“ bezieht sich meist nur auf die ökonomische Unmöglichkeit der ursprünglichen Stadtbewohner:innen mit den steigenden Preisen ihrer Quartiere Schritt zu halten. Aber es ist viel mehr: Urbanität ist die Vielfalt der Menschen, die sich zu Nachbarschaften zusammengefunden haben. Ein gesundes Viertel ist ein Generationenprojekt und diese Mischung droht verloren zu gehen.
Davon sind nun auch wir betroffen. Die Bernstorffstraße 117 / Thadenstraße 102 ist der Lebens- und Arbeitsraum von mehr als 100 Menschen, der praktisch über Nacht zwei Berliner Inverstoren verkauft wurde. Als Hofgemeinschaft wollen wir nicht zulassen, dass eine Nachbarschaft, die in mehr als 40 Jahren entstand, einfach so verschwindet. Wir lieben den Ort, an dem wir leben und arbeiten, und wir glauben, dass diese Stadt Menschen braucht, die Hamburg nicht nur konsumieren, sondern lebendig und motiviert weiterentwickeln.
Hier werden die Lebenslinien der Stadt sichtbar.
Das Ensemble Bernstorffstraße 117 / Thadenstraße 102 entstand in einer Zeit, in der sich Hamburg und Altona rasch ausdehnten. Zwischen 1860 und 1880 verdoppelte sich die Einwohnerzahl der Stadt und neue Verkehrsmittel wurden gebraucht.
Zwischen 1881 bis 1882 wurde das Depot für die Pferdestraßenbahn der Altonaer-Ringbahn auf dem Grundstück Bernstorffstraße 117 / Thadenstraße 102 errichtet. So waren die im historistischen Schweizer Stil fertiggestellten Gebäude zunächst Remisen und Stallungen der Straßenbahngesellschaft. Später siedelten sich Handwerker:innen an und 1962 fanden hier Betroffene der großen Sturmflut Asyl.
In über vierzig Jahren wuchs hier eine Nachbarschaft aus 19 Parteien mit über 100 Menschen, die sich nach und nach ein Umfeld schufen, das Wohnen, Arbeiten und Leben ideal verbindet. Auf dem Hof der Bernstorffstraße 117 / Thadenstraße 102 gibt es eine Tischlerei, eine Autowerkstatt, ein Umzugsunternehmen, eine Dachdeckerei, ein Bauunternehmen, Film- und Musikproduzent:innen, Musiker:innen, Tontechniker:innen, bildende Künstler:innen, eine Praxis für Homöopathie, Grafikdesigner:innen, ein Tanzatelier und vielfältige Wohngemeinschaften. Diese bunte Mischung muss erhalten bleiben.
Bürgerschaftliches Handeln strahlt aus.
Nachbarschaft ist weit mehr, als sich auf dem Weg zur Arbeit kurz zu grüßen. Der Hof der Bernstorffstraße 117 / Thadenstraße 102 hat keine verschlossenen Tore und viele der hier arbeitenden Menschen haben rege Kontakte ins umliegende Quartier. Fast alle angrenzenden Selbstständigen oder Gewerbetreibenden arbeiten mit den Betrieben des Hofs zusammen. Der Hinterhof schafft Arbeits- und Ausbildungsplätze.
Die Handwerker:innen sind im Viertel gefragt und haben unter anderem an der Planung und dem Bau des FC St. Pauli-Museums und bei dem Wiederaufbau des „Golden Pudel Clubs“ mitgewirkt. Als im Frühjahr 2016 der „Pudel“ an der Hafenstraße durch ein Feuer zerstört wurde, glaubt zunächst niemand an eine Wiedereröffnung. Die unterschiedlichen Gewerke aus der Bernstorffstraße 117 / Thadenstraße 102 standen den Betreiber:innen der Hamburger Institutionen zur Seite und stellten ihre Fähigkeiten solidarisch zur Verfügung.
Unser Plan: Langfristigkeit
Mit schnellem Geld kennen wir uns nicht aus. Was wir aber seit über vier Jahrzehnten intensiv geübt haben, sind Nachhaltigkeit und Verlässlichkeit. Deshalb wollen wir wollen durch einen Rückkauf dauerhaft erhalten, was wir für uns und unsere Nachbarschaft aufgebaut haben.
Unser Plan ist ein Modell, mit dem das gesamte Ensemble der Bernstorffstraße 117 / Thadenstraße 102 dauerhaft der Spekulation entzogen wird. Dabei geht es weder darum, allein den Status Quo der Bewohner:innen, Arbeiter:innen, Freiberufler:innen und Firmen zu erhalten ohne den Besitz Einzelner zu vermehren – es geht darum, im Sinne des gesamten Quartiers den lebendigen urbanen Organismus, der hier entstanden ist, für viele Generationen zu erhalten.
Es soll kein einzelnen Eigentümer:innen geben, sondern ein Konzept basierend auf dem Gedanken der Gemeinschaft und der Idee eines genossenschaftlichen Projekts.
Wir Halten zusammen und viele halten zu uns.
Der Hof der Bernstorffstraße 117 ist ein Schmelztiegel der Hamburger Kreativwirtschaft. Von hier gehen wichtige Impulse aus und die Kulturschaffenden der Stadt gehen hier ein und aus. Kein Zufall, dass sich die Liste unserer Unterstützer:innen wie ein Who is Who der bekanntesten Hamburger Künstler liest.
Von Beginn an unterstützte die Handwerkskammer Hamburg uns im Bestreben, diesen Hof in der vorhandenen Struktur zu erhalten.
Eine starke Ermutigung für uns ist der Rückhalt des Bezirksamts Altona, das auf unsere Initiative hin eine städtebauliche Erhaltungsverordnung für das Karree und unser Ensemble aussprach.